Mittwoch, 18.06.2025

Selten ist der christliche „Wingolfsbund“ Thema in antifaschistischen Veröffentlichungen, dabei ist er ein Paradebeispiel für den Kampf der Korporationen mit dem Zeitgeist. Der „Wingolf“ ist ein „farbentragender Verband“, er hat also „Chargierte“, die auch bei öffentlichen Anlässen wie dem „Wartburgfest“ in „vollem Wichs“ und mit „Paradeschläger“ marschieren. Auf Nichtkorporierte wirkt daher ein Treffen des „Wingolfbundes“ oder des ebenfalls „farbentragenden“, wenn auch weitaus größeren, katholischen „Cartellverbands“ ähnlich wie ein Treffen des „Coburger Convents“ oder der „Deutschen Burschenschaft“. Der wesentliche Unterschied in den Ritualen ist, dass die Christen nur paradieren, sich aber nicht mit geschärften „Schlägern“ das Gesicht zersäbeln.
Immerhin: „Außenwirkung des Wingolfs sei wichtig.“ Im Grundsatz sind sich die „Wingolfiten“ da einig, in der konreten Ausprägung keineswegs. Wohl kein Korporationsverband weist ein dermaßen breites politisches Spektrum auf wie der „Wingolfsbund“, obwohl er sich doch als „Bruderbund“ versteht und ein weit engeres Verhältnis pflegt als in den meisten anderen Dachverbänden üblich.
Wenig überraschend gibt es auch bei „Wingolf“ Verbindungen ins Neonazimilieu, so wie in fast jedem anderen Dachverband auch: In Hamburg wurde in der Nacht auf den 20. März 2025 ein antifaschistischer Farbanschlag auf das „Wingolfshaus“ in der Richardstraße 90 verübt, „nachdem sie im Herbst 2024 der rechtsextremen IB-nahen ,Aktion 451‘ ihre Räume zur Verfügung stellten“.
Auch an der üblichen NS-Verherrlichung mangelt es nicht: Der „Freiburger Wingolf“ machte 2011 einen korporierten Fackelmarsch zum Stadtgarten, die antifaschistische Antwort waren Farbe und Steine.
Aber es gibt auch eine andere Seite des „Wingolfsbundes“, der sich bisher über „die Ablehnung der Mensur, das Couleurstudententum, das Christianum und den Männerbund als tragendes Prinzip“ definiert hat: eine weibliche. Die „Hohenheimer Wingolf-Verbindung Fraternitas Academica“ hat zum Entsetzen nahezu des gesamten restlichen Männervereins Frauen aufgenommen: als „Burschinnen“, eine sogar als „Fuxmajora“, samt mehrerer „Spähfüxinnen“.
Die „Fraternitas Academica Hohenheim“ ist Mitglied in der „Gernsbacher Konvention“, dem Zusammenschluss der südwestdeutschen Wingolfsverbindungen, und hier bekommen sie auch den meisten Zuspruch. Das gleichnamige Treffen der „Gernsbacher Konvention“ findet alle zwei Jahre an „Christi Himmelfahrt“ in Gernsbach bei Rastatt statt, alternierend zum „Wartburgfest des Wingolf“ in Eisenach. Daneben existieren noch zwei weitere „Konventionen“ im „Wingolfsbund“, die in anderen Dachverbänden „Kartelle“ genannt werden: Die Fundichristen der „Diezer Konvention“ und die „Nordbundkonvention“ dreier norddeutscher „Wingolf-Verbindungen“.
Die Aufnahme von Frauen in den Hohenheimer „Wingolf“ warf im Dachverband existenzielle Fragen auf: „Wie könne garantiert werden, dass die Damen für alle Ewigkeit nicht am Wingolf teilnehmen wollen?“ Gar von Rechtfertigungsnöten ist die Rede als „eine Delegation des Kieler Wingolfs im Februar 2023 in Hohenheim“ war. „Dort habe der Kieler Wingolf deutlich gemacht, dass er kein Interesse an der Aufnahme von Damen im Wingolf habe. Nach der Weiterfahrt nach Tübingen sei man dort von Mitgliedern einer Burschenschaft auf die gemischte Struktur des Wingolfs angesprochen worden. Dies zeige, dass es sehr wohl eine Wirkung über Hohenheim hinaus gebe, da sich nun auch externe Kreise mit der Frage beschäftigten und Mitglieder des Bundes sich dafür rechtfertigen müssten.“
Die HohenheimerInnen fühlten sich in der Folge von der misogynen Mehrheitsmeinung im „Wingolfsbund“ paternalistisch diskriminiert, was lediglich mit achselzuckendem Zynismus quittiert wurde. Sie hätten auch einfach „erkennen können, dass Härte im Umgang unter Bundesbrüdern oft als Ausdruck von Respekt und Freundschaft gemeint sei“. Die „Damenfrage“ ist unter Jungen jedenfalls nicht umstritten: „82% der Aktiven sprachen sich dagegen aus, in der eigenen Verbindung Frauen aufzunehmen.“ So sind sie eben, die „Wingolfiten“: „Es sei anstrengend, den Denkprozessen mancher Redner in Echtzeit folgen zu müssen.“
Die korporierte (Männer-)Öffentlichkeit auf „Tradition mit Zukunft“ reagierte auf die Frauen im Wingolfsbund mit „babylove – Feuchte Waschlappen“-Memes und „Willenberg, Göttinger Wingolf“ beeilte sich, den entmannenden Neuigkeiten wider besseren Wissens zu widersprechen: „Nein, der Wingolf ist nach wie vor kein Gemischtbund.“
Denn der Antrag, den „Wingolf“ per Satzung zum Männerbund zu machen ist gescheitert. Nur der Bonner, Berliner, Erfurter, Frankfurter, Gießener, Göttinger, Hallenser, Hamburger, Heidelberger, Kieler, Leipziger, Marburger, Stuttgarter, Tübinger, Wiener und Würzburger „Wingolf“ haben für den Antrag gestimmt, aber der Aachener, Darmstädter, Erlanger, Hannoverscher, Hohenheimer, Jenenser, Karlsruher, Marburger, Münchener und Rostocker dagegen:
„Abstimmungsergebnis: 16 Pro, 10 Contra. [...] Der Antrag erreicht nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit und wird damit abgelehnt. [...] Man müsse auch berücksichtigen, dass der Antrag zur Festschreibung des Männerbundes zum fünften Mal knapp gescheitert ist.“
Nach Jahren des Stillstands und endlosem Drama im „toxischen Umfeld“ des „Wingolfs“ ist es an der Zeit mehr zu tun, als die Frauenfrage auf die Tagesordnung zu setzen. Wir veröffentlichen daher die „Amtliche Verhandlungsniederschrift des Vertreterconvents des Wingolfsbundes am 22. Februar 2025 in Gießen“ (als PDF).