Donnerstag, 20.11.2025

Die 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvR 259/24) hat am 03.11.2025 entschieden, dass die Hausdurchsuchung bei einem Freiburger Journalisten von Radio Dreyeckland am 17.01.2023 verfassungswidrig war. Die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwältin Angela Furmaniak mit Hilfe der Gesellschaft für Freiheitsrechte und einer Berliner Anwaltskanzlei war damit erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht schreibt:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt eine Durchsuchung in den Räumen eines Rundfunkunternehmens – ebenso wie die Durchsuchung von Presseräumen – insbesondere wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit sowie der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar [...]. ln der Verschaffung staatlichen Wissens über den Inhalt redaktionellen Materials liegt zudem ein Eingriff in das von der Rundfunkfreiheit geschützte Redaktionsgeheimnis [...]. Zudem können potentielle Informanten durch die begründete Befürchtung, bei einer Durchsuchung könne ihre Identität aufgedeckt werden, davon abgehalten werden, Informationen zu liefern, die sie nur im Vertrauen auf die Wahrung ihrerAnonymität herauszugeben bereit sind [...].
Nichts anderes gilt in Fällen, in denen – wie hier – die Durchsuchung von (Büro-)Räumlichkeiten einer Privatwohnung angeordnet wird, die ein funktionales Äquivalent zu den Räumen eines Rundfunkunternehmens darstellen. Der Beschwerdeführer nutzte seine Wohnung vorliegend (auch) zu journalistischen Zwecken als Redakteur. Dementsprechend bewahrte er dort unter anderem den für seine redaktionelle Arbeit verwendeten Laptop sowie mehrere Datenträger mit Redaktionsmaterial auf. Die Durchsuchung der Wohnung ist daher vorliegend – vergleichbar mit einer Durchsuchung von Räumlichkeiten des Radiosenders – mit einer Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung verbunden. Die Ermittlungsmaßnahme diente überdies auch der Erlangung von redaktionellem Material, aus dem Erkenntnisse über die Entstehung des Artikels vom 30. Juli 2022 [...] gewonnen werden sollten.“

Das Bundesverfassungsgericht setzt damit einen Schlusspunkt unter den RDL-Prozess, der seinerseits eine Folge des linksunten-Verbots war. Am 25.08.2017 wurde mit den 1. linksunten-Razzien bei fünf Freiburger Linken und im Autonomen Zentrum KTS Freiburg das Verbot der linksradikalen Nachrichtenseite linksunten.indymedia.org vom 14.08.2017 öffentlich. Die staatliche Zensur hat bis heute Bestand, aber die Razzia in der KTS wurde am 12.10.2020 vom baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof Mannheim für rechtswidrig erklärt und 2020 die beschlagnahmten Asservate zurückgegeben.
Der AfD-Politiker Robin Classen, der bei der rheinland-pfälzischen Landtagswahl 2026 im Wahlkreis Diez/Nassau kandidiert, erstattete kurz nach den Razzien zusätzlich Strafanzeige gegen die fünf Linken nach § 129 StGB (kriminelle Vereinigung). Classen ist ehemaliges Mitglied der „Burschenschaft Germania Halle zu Mainz“ in der „Deutschen Burschenschaft“. Da die fünf Linken gegen das linksunten-Verbot vor dem Verwaltungsgericht klagten, wurde das Strafverfahren 2019 unterbrochen.
Am 16.01.2020 ging das Archiv von linksunten online. Zwei Wochen später entschied das Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020, sich nicht mit dem Verbot zu befassen. Daraufhin wurde das § 129-Verfahren wiederaufgenommen und schließlich am 12.07.2022 eingestellt. Über unsere Meldung zur Einstellung berichtete der RDL-Journalist am 30.07.2022 mit einer RDL-Meldung samt Link auf das linksunten-Archiv.
Auf die RDL-Meldung wurde Bernhard Kurz vom Staatsschutz der Freiburger Kriminalpolizei aufmerksam. Kurz informierte den Staatsanwalt Manuel Graulich über den seiner irrigen Meinung nach strafbaren Link in der RDL-Meldung. Der Staatsanwalt leitete daraufhin ein Verfahren wegen Unterstützung einer rechtskräftig verbotenen Vereinigung ein und beantragte einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Karlsruhe. Richterin am Amtsgericht Anja Herrmann nickte Graulichs Antrag ab und stellte den verfassungswidrigen Durchsuchungsbeschluss aus, woraufhin die drei Hausdurchsuchungen am 17.01.2024 durchgeführt wurden.
Staatsanwalt Manuel Graulich erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Karlsruhe (Az. 5 KLs 540 Js 44796/22), welches jedoch am 16.05.2023 die Eröffnung des Hauptverfahrens verweigerte. Dagegen legte Graulich Rechtsmittel ein und bekam vom Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 2 Ws 2/23) am 12.06.2023 Recht. Das Urteil des 2. Strafsenats des OLG bestehend aus dem Vorsitzenden Roderich Martis, Barbara Haber und Roland Kleinschroth wird vom Bundesverfassungsgericht an mehreren Stellen scharf kritisiert und in Teilen aufgehoben.
Das OLG nahm verfassungswidrigerweise an, dass die vom Bundesinnenministerium konstruierte Vereinigung „linksunten Indymedia“ noch existiere. Denn nur diese Vereinigung hätte mangels rechtskräftig festgestellter und damit automatisch verbotener Nachfolgeorganisation gegen das Vereinigungsverbot verstoßen können. Ohne eine noch existierende Vereinigung hätte der RDL-Redakteur vom Vorwurf der Unterstützung einer solchen freigesprochen werden müssen. Einziger Beleg des OLG für eine Weiterbetätigung in den Jahren 2017 bis 2023: das statische Archiv von 2020. Das Bundesverfassungsgericht dazu:
„Ausdrückliche Erwägungen dazu, dass die Vereinigung „linksunten.indymedia“ auch mehrere Jahre seit Ergehen der Verbotsverfügung vom 14. August 2017 noch existierte, finden sich in der amtsgerichtlichen Durchsuchungsanordnung vom 13. Dezember 2022 nicht. Soweit das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 7. November 2023 davon ausgegangen ist, nähere Ausführungen des Amtsgerichts hierzu seien nicht erforderlich gewesen, weil im andauernden Betrieb der Internetseite der Vereinigung deren weitere Betätigung gesehen werden könne, trägt dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Darlegung eines auf konkreten Tatsachen beruhenden Anfangsverdachts nicht Rechnung. Die bloße Existenz einer seit mehreren Jahren nicht mehr aktualisierten Archivseite stellt jedenfalls für sich genommen keine konkrete Tatsache für die Annahme dar, auch im vorgeworfenen Tatzeitpunkt bestehe die Vereinigung […] ungeachtet des Verbots noch fort, zumal auch keine belastbaren Erkenntnisse dazu vorlagen, welcher Personenkreis oder möglicherweise auch welche Einzelperson die Archivseite ins Internet gestellt hatte.“
Ohne tatsächliche Anhaltspunkte nahm das Oberlandesgericht Stuttgart an, dass die fünf damals Beschuldigten das Archiv erstellt hätten. In einer bizarren Beweislastumkehr führte das OLG an, dass es keine Anhaltspunkte für eine Auflösung der Vereinigung gebe, woraus deren Fortexistenz geschlossen werden könne. Weiter wurde den Beschuldigten zum Vorwurf gemacht, dass sie den Rechtsweg beschritten hätten. Im Wortlaut des OLG Stuttgart:
Für die Annahme, die Gruppe, die die Plattform ,linksunten.indymedia‘ bis zur Verbotsverfügung betrieben hat, habe sich (danach) aufgelöst, fehlen Anhaltspunkte. Weder gibt es einen Erfahrungssatz, dass eine Vereinigung, deren Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft, sich an eine Verbotsverfügung hält. Noch gibt es eine sonstige tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme, die Gruppierung habe ihre Tätigkeit dauerhaft aufgegeben und nicht nur aus taktischen Erwägungen heraus lediglich vorübergehend eingestellt oder verlagert. Auch ist der nicht unerhebliche Zeitablauf seit der letzten Veränderung der Website am 15.04.2020 kein tragfähiges Indiz für eine Auflösung der Vereinigung, zumal gewichtige Umstände für die Annahme sprechen, dass die Tätigkeit fortgeführt werden sollte und wird.
Hierzu gehören insbesondere die oben dargelegten Erkenntnisse zur Bedeutung der verbotenen Plattform für die linksextreme Szene, aber auch die im Wikipedia-Artikel genannte Wahrnehmung einer ,Verlagerung‘ der Tätigkeit der Vereinigung auf die Plattform de.in. und die Nachhaltigkeit, mit dem bis in die jüngste Vergangenheit juristisch gegen das Vereinsverbot vorgegangen wurde. Dass sich die Kläger vor dem Bundesverwaltungsgericht und die Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht nicht eindeutig als Mitglieder der Vereinigung zu erkennen gegeben haben, steht der naheliegenden Annahme, dass sie zur Vereinigung gehören und rechtliche Schritte gegen das Verbot unternommen haben, um ihre Tätigkeit fortsetzen zu können, nicht entgegen, zumal die Klage ausweislich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur deshalb nicht im Namen der Vereinigung erhoben wurde, weil andernfalls Strafverfolgung befürchtet wurde.“

Bei so vielen verfassungsrechtlichen Ermahnungen durch das Bundesverfassungsgericht stellt sich die Frage, ob das nicht politische Justiz war?
„Die weitere Annahme des Oberlandesgerichts, es fehlten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Vereinigung ,linksunten.indymedia‘ ungeachtet ihres Verbots aufgelöst habe, trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung des Anfangsverdachts ebenfalls nicht Rechnung. Die bei dieser Erwägung der Sache nach zugrunde gelegte Vermutung für eine Fortexistenz der verbotenen Vereinigung, die es zu entkräften gilt, findet weder im zugrunde liegenden einfachen Recht noch im Verfassungsrecht eine Stütze.
Es wäre vielmehr Aufgabe der Gerichte gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen, die einen Anfangsverdacht für die (positive) Fortexistenz der Vereinigung nach dem Zeitpunkt der Verbotsverfügung [...] zu begründen vermocht hätten. Entsprechendes gilt für den vom Oberlandesgericht herangezogenen weiteren Umstand, wonach der nicht unerhebliche Zeitablauf seit der letzten Veränderung der Archivseite kein tragfähiges Indiz für die Auflösung von ,linksunten.indymedia‘ darstelle.
Schließlich erweist sich auch die Erwägung des Oberlandesgerichts, wonach die ,Nachhaltigkeit‘, mit der bis in die jüngste Vergangenheit juristisch gegen das Vereinsverbot vorgegangen sei, für die Fortexistenz der Vereinigung spreche, als verfassungsrechltich nicht tragfähig. Ein auf konkrete Tatsachen gestützter Anfangsverdacht für das Fortbestehen des verbotenen Vereins kann nicht auf die Inanspruchnahme der von der verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantie gewährleisteten Möglichkeit, den Rechtsweg (auch) gegen ein Vereinsverbot zu beschreiten [...], gestützt werden.“

Aufgrund des OLG-Urteils beantragte Manuel Graulich beim Amtsgericht Karlsruhe einen weiteren Durchsuchungsbeschluss, denn das OLG hatte geschrieben: „Nach diesen Maßgaben ist es wahrscheinlich, dass das erkennende Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Auffassung gelangen wird, dass die verbotene Vereinigung noch existiert und ihren Willen, ihre verbotene Internetpräsenz fortzuführen, nicht aufgegeben hat. Mit diesem Schluss sind die Erkenntnisse weitaus besser in Einklang zu bringen, als mit einer Auflösung der Gruppe und der Aufgabe der Vereinstätigkeit.“
Dieser Durchsuchungsbeschluss wurde von dem Richter am Amtsgericht Karlsruhe Cay Schwirblat ausgestellt. Es folgten am 02.08.2023 die 2. linksunten-Razzien bei den vermeintlichen BetreiberInnen, welche bereits sechs Jahre zuvor durchsucht worden waren.
Die Durchsuchungsanordnung, gegen die sich die Verfassungsbeschwerde des RDL-Journalisten richtete, wurde im November 2023 vom OLG Stuttgart für rechtens erklärt – im Widerspruch zur vorherigen Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe. Die OLG-Entscheidung wurde nun vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Das Strafverfahren vor dem Landgericht Karlsruhe endete für den RDL-Journalisten am 06.06.2024 mit einem Freispruch, der im September 2024 rechtskräftig wurde.
Das Ermittlungsverfahren gegen die fünf FreiburgerInnen wegen der Erstellung des Archivs wurde im Juni 2025 eingestellt. Über ihre Beschwerde über die Razzien am 02.08.2023 dürfte demnächst das Landgericht Karlsruhe entscheiden. Angesichts des Bundesverfassungsgerichtsurteils sollte sich das Karlsruher Landgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung bestätigt sehen.
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